Ein Blick ins (scheinbare) Paradies

Unbegrenzter Urlaub im Unternehmen? Das hört sich aus Sicht von Arbeitnehmenden recht vielversprechend an, aber ist das aus Sicht eines Arbeitgebenden eine gute Entscheidung für (m)ein Unternehmen?

Die Idee ist nicht neu

Mit dem Gedanken, die Verantwortung für die Anzahl der Urlaubstage in die Hände der Mitarbeitenden zu legen, beschäftigen sich Unternehmen schon seit einigen Jahren. Schließlich vertraut man den Kolleginnen und Kollegen auch, wenn es um Entscheidungen zu Budgets, Personalführung oder Projekte geht – warum also nicht auch beim Urlaub?

Größere US-Unternehmen, wie Netflix oder auch Microsoft haben unbegrenzten Urlaub schon vor gut 10 Jahren getestet oder sogar eingeführt. Das US-amerikanische Unternehmen Mammoth HR (jetzt Mineral) hat z.B. 2015 ein einjähriges Experiment zu diesem Thema gestartet (siehe auch dieser Artikel auf fastcompany.com). Das Ergebnis nach Ablauf des Jahres: Die Mitarbeitenden nahmen im Rahmen der unbefristeten Regelung etwa genauso viele Urlaubstage wie im Jahr zuvor, als der Urlaub noch nach dem herkömmlichen System abgerechnet wurde. Genauer gesagt: Durchschnittlich nahmen Mitarbeitende 14 Tage pro Jahr Urlaub, wobei die meisten zwischen 12 und 19 Tage Urlaub nahmen.

Wie läuft es in Deutschland?

Inzwischen ist die Idee auch nach Deutschland gekommen – angespornt vor allem durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen der Pandemie.
Der Mindesturlaubsanspruch für Arbeitnehmende in Deutschland liegt derzeit bei 24 Tagen pro Jahr. Da der Samstag als Werktag gilt, reduziert sich der Mindestanspruch bei Vollzeit Arbeitenden mit einer 5-Tage-Woche auf 20 Tage Urlaub. Viele Arbeitgeber bieten allerdings mehr Urlaubstage an. Und einige Unternehmen haben inzwischen auch in Deutschland das Experiment mit den unbegrenzten Urlaubstagen gestartet. Denn die Aussage „unbegrenzte Urlaubstage“ ist zu einem Benefit geworden, mit dem sich Arbeitsuchende für das eigene Unternehmen gewinnen lassen.

Bei der Hamburger Kreativagentur Elbdudler gibt es diese Freiheit z.B. schon seit sechs Jahren. Im Durchschnitt nehmen sich dort die Kolleginnen und Kollegen etwa 30 Tage Urlaub pro Jahr. Das es nicht mehr sind, liegt vor allem daran, dass sich die Menschen untereinander abstimmen und fair gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen verhalten, denn auch bei unbegrenztem Urlaub muss die Vertretung geregelt werden. Das Experiment ist also nicht ausgeartet, wie manch Arbeitgeber vielleicht befürchtet und wurde schließlich sogar als dauerhafte Regelung in der Agentur übernommen.

Zuviel Urlaub oder zu wenig

Doch so erfolgreich läuft es nicht überall, denn viele Arbeitnehmende wissen mit dieser „Freiheit“ nicht so recht umzugehen. Und bei vielen Unternehmen herrscht die Angst vor, dass sich Mitarbeitende „zu viel“ Urlaub nehmen, wenn es keine Begrenzung gibt.

Allerdings zeigen die verschiedenen Experimente mit einer solchen Regelung, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Die Befürchtung, faul zu erscheinen oder vielleicht auch gierig, führt bei vielen Mitarbeitenden zur Zurückhaltung, was Urlaubstage angeht. Oft herrscht auch Verunsicherung, wie viele Urlaubstage denn nun „gerecht“ wären gegenüber dem eigenen Team. Und so werden bei einer unbegrenzten Regelung im Durchschnitt sogar weniger Urlaubstage genommen, als zuvor mit einer begrenzten Regelung vereinbart waren.
Eine festgelegte Zahl an Urlaubstagen wird von Vielen als eine Leistung betrachtet, die aufzubrauchen ist und die demnach auch aufgebraucht wird. Bei unbegrenzten Urlaubstagen müssen die Kolleginnen und Kollegen hingegen häufig darauf hingewiesen werden, überhaupt Urlaub zu nehmen.

Stolperfallen

Schwierig wird es, wenn man sich die rechtlichen Risiken etwas näher anschaut. Nicht in Anspruch genommener Urlaub kann theoretisch mit in das Folgejahr genommen werden, wenn der Arbeitgeber es versäumt, die Arbeitnehmenden über ausstehende Urlaubsansprüche zu informieren und sie dazu aufzufordern, den Urlaub zu nehmen, da er ansonsten verfällt. Wie verfährt man hier bei unbegrenztem Urlaub?

Und was passiert bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses? Wenn Urlaubsansprüche hier ganz oder zumindest teilweise nicht mehr erfüllt werden können, muss der Urlaub finanziell abgegolten werden.
Wichtig ist also, vor Einführung des unbegrenzten Urlaubs entsprechend konkrete Regelungen und Vereinbarungen mit den Mitarbeitenden zu treffen.

Fazit

Wenn man sich für unbegrenzten Urlaub im Unternehmen entscheidet, muss Urlaub als Teil der Arbeitskultur gefördert werden und es müssen Vereinbarungen über den Rahmen des unbegrenzten Urlaubs getroffen werden. Arbeitnehmende sollten dazu ermutigt werden, freie Tage auch zu nehmen. Und es muss klare Vorgaben dazu geben, wie die freien Tage im Team verwaltet werden – gibt es z.B. für Eltern schulpflichtiger Kinder Vorrang für bestimmte Urlaubszeiten oder gibt es Zeiten, in denen kein Urlaub genommen werden darf.
In diesem Zusammenhang ist es dann vielleicht sogar besser, nicht mehr von unbegrenztem Urlaub zu sprechen, da er eben nicht unbegrenzt ist, sondern eher von einer flexiblen Urlaubsregelung.

Euer Talentwunder-Team

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